Wie wir mit der Situation umgehen ...

Martin: 

Die erste Reaktion, wenn wir jemandem von unserer Situation erzählen, ist oft eine Mischung aus Betroffenheit und Ohnmacht. Allein die Tatsache, daß sich eine Frau und ihre Familie mit Brustkrebs im Alter von 40 Jahren beschäftigen muß, ist zwar nicht einmalig, aber selten. Immerhin schwingt bei dieser Diagnose auch heute noch eine Lebensgefahr wenigstens psychisch mit. 

Nun haben wir uns nicht nur mit dem Weg der Therapie zu beschäftigen, sondern haben uns entschieden, ein werdendes Leben seinen Weg ins Leben zu ermöglichen - bei allem Risiko. Theoretisch ist es möglich, daß entweder alles gut ausgeht und wir bald eine fünfköpfige Familie sind - oder eine dreiköpfige - oder drei Kinder und 1 Vater. 

Unsere erste Reaktion war: wir fühlen uns beraubt. Diese Krankheit raubt uns Kapazität, Zeit und Geld. Alle kurzfristigen oder mittelfristigen Visionen oder Ziele sind weggewischt. 

Aber mit der Zeit merken wir, daß uns die Situation auf verschiedenen Ebenen herausfordert:

1. Was ist wirklich wichtig, was zählt, was will ich mitnehmen? Will ich mich weiterhin mit lauter vorläufigen Beschäftigungen alle Kapazität nehmen anstatt mich um Dinge zu kümmern, die bleiben werden? Wegen welchen Dingen fahre ich meine Kinder ungeduldig an?

2. Was heißt es, daß Gott mein Leben trägt? Jetzt ist nicht die Zeit für fromme Sprüche! Wir sind in der Situation, daß wir letztlich existentielle Entscheidungen treffen aufgrund von Verheißungen, Glauben und Zuversicht zu Gott.
Unser Trauvers lautet: Denn wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen werden... (Röm 8,28). Und bei Segnungsgebeten um Silvester wurde dieser Vers wieder für uns ausgewählt. Wir glauben daran, daß das Beste für uns nicht zwingend bedeutet, daß alles glatt, bequem und ohne Schwierigkeiten geht, sondern daß solche Herausforderungen uns Gott näher bringen und auch dem Charakter, den er in uns angelegt hat.

3. Jede Krankheit ist eine Störung der Schöpfungsordnung Gottes - Gottes Wesen ist Heilung. Trotzdem kann Gott die Zeit von Krankheit benutzen, um Dinge, die im Leben schief liegen, zur "Bearbeitung" nach vorne zu holen. Auch in diesem Sinne sind wir Dinge, Verhaltensweisen, Beziehungen durchgegangen, um nicht zu versäumen, auch auf dieser Ebene aus der Krankheit zu lernen.

4. Was ist, wenn Regina diese Attacke doch nicht überlebt? Was fehlt ihr im Leben, hat sie etwas verpaßt? Habe ich etwas an ihr verpaßt? Haben wir Lebenszeit verplempert?

Unsere Zuversicht baut auf eine Kette von verschiedenen Erlebnissen in 2004: Anfang des Jahres träumte Regina von dem Kind, von einer schwierigen Geburt und seinem Namen "David". Auch ich bekam im Laufe des Jahres mehrere unabhängige Zusagen, daß eine schwere Situation tragbar sein wird - aber wir beide haben die Hinweise nicht deuten können, womit sie konkret zu tun hätten. In der Situation, in der uns eine Abtreibung nahegelegt wurde, war es angesichts dieser Vorgeschichte dann undenkbar, den von Gott eingeschlagenen Weg zu verlassen. Auch um Silvester herum, als die Diagnose klar war und wir entscheiden sollten, wie es weitergeht, wurden wir von verschiedenen Seiten bestätigt, daß die Entscheidung richtig ist, Gottes Ja zum Leben nicht zu verneinen.

In unsere Entscheidung spielt aber auch hinein, daß uns von mehreren Ärzten bestätigt wurde, daß ein Abbruch der Schwangerschaft die Heilungschancen nicht erhöhen werden. 

Deshalb sind wir derzeit fest davon überzeugt, daß wir diese Zeit der Therapie durchstehen müssen, aber diese Situation letztlich ohne Schaden für das Kind und Regina überstehen werden. Wir sind davon überzeugt, daß Gott sich in dieser Krankheit und der Gesundung verherrlichen möchte - d.h. er wird sich als der erweisen, der das letztgültige Wort hat, Kraft zum Leben gibt und sich als vertrauenswürdige Lebensgrundlage erweist.

Wir erleben soviel Aufmerksamkeit, in der es einfach ist, auf den Schöpfer des Lebens zu verweisen - und es ist nicht unpassend. Alle gemeindlichen Grenzen verschwimmen dabei - auch das tut gut.

Zumindest für mich gilt: ich habe keine Angst vor der Zukunft - Gott hat sicher verschiedene Möglichkeiten, den Weg mit uns weiterzugehen, aber egal, welche Gestalt er annimmt, ich weiß mich und meine Familie in seiner starken Hand geborgen. 

 
Regina: 

Martin hat schon wunderbar aus der Sicht des Ehemannes und werdenden Vaters über unsere Situation geschrieben. Was soll ich denn dazu noch sagen? Ich möchte dich, lieber Fürbitter nicht mit Wiederholungen langweilen. Deshalb mein jetziges Resumé:
“Gott hat etwas vor, mit mir, mit uns als Familie und allen Fürbittern!“ Das konnte ich sehr schnell sagen. Staunend erlebte ich, wie in Kempen, Krefeld und Venlo ein Armee von Fürbittern aufstand und steht, ganz unabhängig von der christlichen Denomination, ganz wie es mein Herz begehrt, nämlich überkonfessionell. Viele sagen, dass ich so stark und gelassen sei. Stimmt, aber es ist die Frucht der vielen Fürbitter und ich empfinde eine unendliche Dankbarkeit. Unsere stärkste Waffe als ChristIn ist das Gebet. Vielleicht begreifen wir das jetzt am Niederrhein und werden somit auf kommende Zeiten vorbereitet. Es ist halt „Schluß mit lustig“, um Peter Hahne mit seinem neuem Buch zu zitieren. Wir werden als Christen immer mehr in Situationen kommen, wo wir Farbe bekennen müssen, sprich: das leben und praktizieren, woran wir glauben, auch wenn es existenziell wird.

Am Anfang stand der Schock: „Schwanger und Krebs“. Gleichzeitig stand ich sofort im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, was mir einerseits aufgrund meiner Extrovertiertheit gefallen hat. Andererseits wurde ich sehr merkwürdig und unsicher von vielen angesehen und aus Angst noch nicht einmal angesprochen, was ich gar nicht schön fand. Schnell begriff ich, dass gelebte Normalität - soweit irgend möglich - es uns allen leichter macht. Nein, so ein Mittelpunkt wollte und will ich nicht sein. Wenn man es mit mir zu tun haben will, dann weil ich Regina bin. Berührungsängste soll man vor mir nicht haben. Meine Extrovertiertheit oder besser augedrückt, meine Offenheit will ich dazu benutzen, zu erzählen, was ich mit Jesus Christus in dieser besonderen Situation erlebe.

In den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, dass sich Jesus von mir zurückgezogen hat, bzw. ich mich von ihm. Schuldgefühle haben mich geplagt und oft fragte ich im Gebet: “Warum sprichst du nicht mir? Habe ich meine Berufung, deinen Plan mit mir verpaßt? Bitte vergib mir meine Bequemlichkeit und laß mich vor dir nicht versagen!“

Heute weiß ich, dass er im ganzem Jahr 2004 in Bildern und Träumen zu mir gesprochen hat.

Ein ganzes Jahr hatte er mich unwissend auf das Kommende vorbereitet.

Es begann im ersten Gottesdienst 2004, wo ich massiv den Eindruck hatte, dass Jesus zu mir sagt: „Du wirst einen Sohn bekommen. Ihn sollst du David nennen!“ Wieviel ist da jetzt Jesus, der zu mir spricht und wieviel ist davon eigenes Wunschdenken? Verwirrt schaute ich zu Hause nach, was David bedeutet und nahm erstaunt zur Kenntnis, dass dieser Name „Liebling“ bedeutet. Ich erzählte auch Martin davon. Gemeinsam beschlossen wir, ein Jahr lang nicht aktiv zu verhüten und damit auch das Risiko einer vierten Fehlgeburt einzugehen.

„Wenn Er uns Leben schenken will, dann wollen wir es für 12 Monate nicht verhindern, aber auch nicht forcieren.“ In diesem Jahr hatte ich zwei Träume, die ich nicht verstand und als eigenproduziert interpretierte, deshalb erzählte ich sie auch keinem.

Im ersten Traum erlebte ich mich im Kreissaal bei einer schweren Geburt. Dazu kam immer wieder eine Stimme, die mich im Traum fragte: „Für ein weiteres Kind wirst du sehr leiden müssen! Bist du dazu bereit?“ Jedesmal anwortete ich darauf mit „Ja!“ Im zweiten Traum erlebte ich eine sehr kranke Regina. Manchmal starb ich auch in dem Traum und man legte

tröstend ein Baby neben mich. Irgendwie wußte ich aber auch sterbend, dass alles gut werden würde. Ich glaube, dass der zweite Traum von mir eine Mischform ist. Sicherlich wollte Jesus mich darauf vorbreiten, dass ich krank werde und ich mich nur auf Ihn verlassen kann und auch die Ewigkeitsperspektive nicht aus dem Blick verlieren darf.

Kurz bevor ich erfuhr, dass ich schwanger bin und auch Krebs habe, hatte ich ein weiteres Bild: Ich war im Zirkus am ungesichertem Trapez (und das bei meiner Höhenangst !). Viele Leute waren in dem Zirkus. Viel Angst hatte ich, denn man wartete auf einen Salto von mir. Der Fänger war Jesus, trotzdem Angst, ich sprang und wurde sicher mit beiden Händen von ihm aufgefangen. Ich sehe ganz genau das Bild, wie seine gepuderten Hände meine ängstlichen und schwitzenden Hände sicher halten. Bei beiden Chemos, die ich bislang hatte, hatte ich das Gefühl, immer wieder neu zu springen und immer wieder gut aufgefangen zu werden. Er hat halt alles im Griff.

Gott sagte zu unserem Kind schon ein Jahr früher: „Fürchte dich nicht! Ich habe dich bei deinem Namen (David) gerufen, du bist mein!“ Es ist ein Liebling Gottes und wir wollen alles dafür tun, dass unsere Kinder in ihre Berufung kommen, auch oder ganz besonders dieses Kind.

Eine Beendigung dieses Lebens war und ist für uns undenkbar, egal was es kostet.

Ich selbst fühle mich reich beschenkt! Mittlerweile gibt es einen guten „Dreierrat an Ärzten“

(Prof. Balzer, Dr. Rogmanns und Dr. Danis), die mit mir gemeinsam diesen Weg gehen.

Besonders dankbar bin ich für die Ratschläge und Gebete von Dr. Rogmanns als entschiedenen Christen. Der Apotheker, der meine Chemo anrührt, betet für mich. Danke Heiko! Gemeinsam gönnen wir uns vorher immer ein tolles Frühstück und bislang erlebten wir diese 2 Chemotherapietage als besonders gesegnet. Viele Freunde rufen an, schenken mir schönen Sachen, sind einfach da und besuchen mich und dann ist da noch die Armee von Betern! Unsere Kinder sind im Verhalten bisher ganz natürlich geblieben. Mir geht es gut, okay die Haare werden weniger, auch die Portlegung war sehr unangenehm, aber insgesamt

sagt mein Inneres „Lobe den Herrn, meine Seele und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat!“

Ich bin noch am Anfang eines langen Tunnels. Sein Stecken und Stab führen mich und am Ende wartet auf mich ein reich gedeckter Tisch (Ps 23).

Ich freue mich über die Normalität, die bei uns eingekehrt ist. Ich habe eine liebe Haushaltshilfe und darf mich schonen. Das Kind entwickelt sich bislang normal.

Krebs dominiert bei uns nicht den Alltag, sondern das Leben und die Freude daran.

Noch einmal: Danke für euer Gebet. Es ist so wichtig und ausschlaggebend!

Eure Regina

 

Start

Martin

Regina

Simon

Pia